Konzert Thomas Noll

Mi, 30.03.2011 20:00 Epiphanienkirche Charlottenburg Knobelsdorffstraße 72, 14059 Berlin

Eintritt 8, ermäßigt 5 Euro

 

Programm:

Adrian Pavlov Sonata breve (Les escaliers énigmatiques) (2009)
Steffen Reinhold ros pikata ros für Oskar Pastior (2006)
Kunsu Shim orgel/hören für eine mechanische Orgel (1995)
Gerhard Stäbler HEISS (1986)
Myung-Sun Lee Tanzendes Echo (2007)

 

Thomas Noll (Berlin), Orgel

Katharina Bergner (Berlin), Assistenz

 

Konstruktion und Materialität – zwei der Grundparameter kompositorischer Konzeption beschreiben den handwerklichen Rahmen des heutigen Programms. Die Faszination und Auswahl gründet jedoch eher in ihrer Wechselwirkung mit ihrem ästhetischen Programm.

 

Adrian Pavlovs Sonata breve (Les escaliers énigmatiques) deutet subtil ihr Programm an: Die enigmatische Skala wurde als musiktheoretische Aufgabenstellung veröffentlicht (gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Adolfo Crescentini; unter anderem reagierte Giuseppe Verdi mit ‚Ave Maria’ aus ‚Quattro Pezzi Sacri’). Neben diesem in Melos und Harmonie relevanten Material organisiert Pavlov den Rhythmus und die Tempoverhältnisse nach Prinzipien bulgarischer Rhythmik. Am Ende der Partitur zitiert er mit dem abgedruckten Gedicht von Edwin Sugarev das poetische Programm: Verbindung von Konstruktion mit innerem Erleben.

 

Steffen Reinhold war fasziniert von der Lektüre der Anagramme Oskar Pastiors, dem er in anagrammatischer Weise den Titel widmet: ros pikata ros. Für sein Stück verwendet er das erste Gedicht ‚baude laïre’ – der quasi programmatische Name eines Dichters als Vorlage für eine quasi mehrstrophige Permutation eines mehrtönigen Themas.

 

Kunsu Shim hat in orgel/hören die Aufgabenstellung für Hörer wie Spieler formuliert. Die Partitur besteht aus Zahlenkolonnen, die so fixiert sind wie sie sich des Zufalls bedienen: der Spieler wählt Register und Töne aus und ist gefordert, mit minimaler Tastenbewegung und in höchster Konzentration fragile Klangkonstellationen lauschend herzustellen. Diese Klangforschung an der Grenze der Hörbarkeit basiert am Ursprung des Orgelklangs: der Brechung der bewegten Luft an der Öffnung der Pfeife. Ästhetik ist hier ursächlich: unmittelbare Wahrnehmung als sinnliches Erlebnis in spiritueller Dimension – im Sinne des nicht diesseitigen Hörens (in der Epiphanienkirche eine besondere Herausforderung durch die unüberhörbaren Außengeräusche …).

 

Gerhard Stäbler hat mit Hart auf hart (1986) eine Grafik vorgelegt, die mit der Angabe ‚Improvisatorisch. Kalkulativ.’ einen Imperativ setzt. Die Besetzung ‚Eine Musik für Ensemble(s)’ hat Stäbler mit der Version HEISS (1988) schon für Orgel konkretisiert. Die Grafik montiert die geläufigen Lasercodes und entfaltet so über ihre jeweilige Klanglichkeit hinaus politische Dimension in der Konfrontation von spontaner Gestaltung mit allgegenwärtiger Verfügbarkeit und Reproduzierbarkeit (auch künstlerischer Ware).

 

Tanzendes Echo von Myung-Sun Lee ist poetische, singende, träumende Musik. Der ruhige Fluss der sich umspielenden Stimmen beruht auf einer Folge von 36 Tönen und dem ChilChae-Rhythmuszyklus der traditionellen koreanischen Musik, der zunehmend tänzerische, sogar ekstatische Dynamik entfaltet. Das Stück entstand 2007 für Thomas Noll.

 

Thomas Noll

 

 

Zu Adrian Pavlov (*1979): Sonata breve (Les escaliers énigmatiques) (2009)

Hinabsteigend zwischen geschlossenen Türen

wusste er eine steht offen für ihn

steht immer offen für ihn

der allein ist zwischen geschlossenen Türen

 

In Gedanken an diese stieg er weiter hinab

stieg sogar noch hinab

als keine Stufen mehr waren

als es längst keine Türen mehr gab

 

Edwin Sugarev (*1953), aus der Gedichtsammlung „Hinabsteigend”, Sofia 1992

 

 

Zu Steffen Reinhold (*1967): ros pikata ros für Oskar Pastior (2006)

ros pikata ros basiert auf einem Ausschnitt des Buches o du roher iasmin, 43 Intonationen zu „Harmonie du soir” von Charles Baudelaire von Oskar Pastior. Dieser Abschnitt ist ein Anagramm auf den Dichtnamen: baude laïre. Der Text erscheint wie ein Klangkontinuum aus 8 verschiedenen Buchstaben. Aus den Buchstabenfolgen ergeben sich manchmal wie zufällig verstehbare, teils skurrile Wörter, wie „adriabeule” oder „idealbauer”. Sie leuchten gleichsam wie Inseln aus dem Klangkontinuum, erwecken den Anschein von Semantik, die aber sogleich im Buchstabenmeer wieder versinkt. Dieses Prinzip und die Textstruktur habe ich auf meine Komposition übertragen: zunächst eng am Text entlang wird eine fixierte 7-Tonfolge anagrammatisch permutiert und den Wortdauern entsprechend rhythmisiert. Zwischen „Sense” und „Nonsense” schwankend wandert diese Tonfolge dann unermüdlich aus lichten Gefilden durch dichte Verquickung bis zu clusterartigen Verklumpungen, um sich schließlich in rasanter Kreiselbewegung zu erschöpfen.

 

baude laïre

 

duale raibe
laide braue
aie durabel
aber du laie
rabe die lau

 

aber audile
luba iedera
darabe iule
dalia ueber
barde a lieu

 

auerdeibal
baudelaire
aubaldiere
adriabeule
aera di blue

 

eilabdauer
blaue irade
ara die bule
braue elida
bulea di rae

 

rabi adele u
eule da riba
balaure die
debile aura
radi la beue

 

Oskar Pastior: o du roher iasmin, 43 Intonationen zu „Harmonie du soir“ von Charles Baudelaire. Auszug aus dem ersten Anagramm, Urs Engeler Editor 2002, zitiert nach www.steffenreinhold.de